Vorwort
Dieses Buch habe ich in erster Linie für drei Menschen geschrieben: für
meine Tochter Fanny – das kleine Mädchen, Evelyn – meinem verstorbenem
Neffen – und meinem Bruder Andreas – dem Vater von Evelyn.
Es ist eine Reise durch meine Vergangenheit und eine Schilderung meiner
Gegenwart. Ich wünsche mir, dass die Menschen, denen ich dieses Buch
widme, so wie ich davon profitieren. Ich hoffe, dass Fanny sehen kann, dass
Mami auch nur ein kleines Mädchen ist und dass Andreas versteht, warum
ich manchmal keinen anderen Ausweg kannte, ausser zu spinnen. Natürlich
wünsche ich mir, dass Evelyn, der von ganz weit weg zusieht, versteht,
warum sein Weg so verlief, wie er verlaufen musste.
Vielleicht profitiert der eine oder andere von meiner beziehungsweise unserer
Geschichte und versteht, dass es immer weiter geht, so oder so – alles hat
seinen ganz eigenen Sinn.
Ich hoffe, es gelingt mir das zu zeigen.
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Guten Morgen, meine Süße. Hast Du gut geschlafen? So wecke ich Dich immer,
zumindest, wenn ich in Irland bin. Ich kann mich nicht daran erinnern,
vielleicht habe ich es auch verdrängt, jemals so von meiner Mutter geweckt
worden zu sein. Ich kann mich nicht mal daran erinnern, dass meine Mutter
mich überhaupt je geweckt hat. Wir hatten ja Dedda, unsere tiefkatholische
kleine, verrunzelte Kinderschwester. Dedda war schon alt, als sie zu uns ins
Schloss kam, deswegen war sie auch so verschrumpelt. „Guten Morgen, Kinder,
es ist Zeit zum Aufstehen, aber erst wird gebetet.” Wir mussten immer
beten. Morgens, zum Mittagessen und vor dem Schlafengehen: „Lieber Gott,
mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm.“ So ergeht es wahrscheinlich
allen Kindern, die stockkatholisch erzogen werden. Das ist ja noch verständlich.
Was für mich aber überhaupt nicht in Frage kam, war Deddas Behauptung,
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der liebe Gott sähe alles! Du kannst Dir sicher gut vorstellen, wie
ich mich fühlte, denn ich war ja nie the very good girl. Leidenschaftlich tat
ich alles, was verboten war: Du darfst nicht schlecht über Deine Eltern denken;
Du darfst den Deinen nichts neiden; Du darfst keine bösen Gedanken
haben; Du darfst nicht begehren, was anderen gehört. Jesus, ich lebte ständig
in Sünde!
Ich habe ein bisschen vorgegriffen, eigentlich wollte ich Dir von früher erzählen,
also aus der Zeit der ganz kleinen Georgie. Ich wurde am 5. Juni 1954
in Heidelberg geboren, und zwar fünf Minuten vor Pfingsten; meine Mutter
sagt immer: „Fast wärst Du ein Pfingstochs geworden.” Und jetzt wollte ich
eine Erklärung für Pfingsten finden, aber da ich natürlich meine ganze katholische
Erziehung vergessen habe, weiß ich nicht mehr, was Pfingsten wirklich
bedeutet. Irgendetwas bezüglich der heiligen Dreifaltigkeit, Gott Vater,
Gott Sohn, Heiliger Geist oder so. Auf meinem linken Arm gibt es auch eine
heilige Dreifaltigkeit, nämlich die drei Tatoos Lilith (Adams erste Frau), den
Drachen und Emma-Reiher – also, so ein bisschen katholisch bin ich doch
noch, oder sagen wir besser schwer gläubig, so meint es Geoffrey jedenfalls.
Immer wenn ich Kirchenchöre höre oder von erhoffter Belohnung oder sich
anbahnender Strafe spreche, sagt er immer: Ja, ja, schwer gläubig. In Deinem
Bücherregal finde ich Sailor Moon, der kleine Hobbit oder Princess Diary
und Anfangskurse für Zeichnen und Malen, aber keine Auskunft über Pfingsten.
Father Noland und Sister Gabrielle wären entsetzt. Es ist noch gar nicht
so lange her, da gingst Du zur Heiligen Kommunion oder Firmung. Can‘t
you remember, etwas muss doch hängen geblieben sein.
Wenn Deine Großmutter Burgel (eigentlich Walburga) über mich spricht,
sagt sie immer: „Georgia, Du warst keine Schönheit, aber süß, dick und rund,
und Du hast geschielt. Die ganz große Freude Deines Vaters!“ Ich glaube, da
liegt der Hund begraben, denn da mein Vater ein großer Bewunderer aller
weiblichen Wesen – außer seiner Ehefrau – war, hätte meine Mutter es leichter
gehabt, wenn sie einen dritten Sohn geboren hätte statt einer schielenden
Tochter, die auch noch bewundert wurde. Mami war ganz schön eifersüchtig
auf mich. Man kann es ihr nicht verübeln, denn sie war eine Kindermutter,
also ganz jung, mit all ihren Babys. Bei der Geburt von Sandro, meinem
ältesten Bruder, war sie 19, bei Andreas 20, bei meiner Geburt 21 und bei Fabians
Geburt 25 Jahre alt. Ziemlich schreckliche Vorstellung. Zwischendurch
gab es bestimmt auch einige Abtreibungen und Fehlgeburten. Meine Mutter
muss also sehr fruchtbar gewesen sein. Das habe ich von ihr geerbt, denn
immer, wenn ich schwanger werden wollte, war ich es mit Sicherheit vier
Wochen später. Das Wort Abtreibung klingt für alle Katholiken schrecklich.
Ich habe damit kein Problem, da ich auch schon einmal abgetrieben habe,
und zwar das Baby vor Dir, also bist Du eigentlich Geoffreys zweites Kind,
zumindest was ihn und mich betrifft.